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Im Jahre 2074 haben sich einige Dinge verändert, unter anderem sind sich die Menschen einer Sache ganz besonders bewusst: der Wiedergeburt. Genau sie ist es, die die Menschheit in eine neue Krise stürzt, denn sie wird blockiert; niemand wird mehr wiedergeboren, und verantwortlich macht man dafür die Keime, die erste Stufe des Zyklus. Avery ist ein solcher Keim und auf der Flucht vor jenen, die sie eliminieren wollen, um selbst nicht vergänglich zu sein. Auf der Suche ist sie nach ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft zugleich – wenn sie nur eine Stufe aufsteigen könnte, wäre sie vorerst gerettet.
Ihr seht mich wieder einmal mit einer Inhaltsangabe konfrontiert, bei der ich nicht so recht weiß, was ich schreiben soll – aus dem einfachen und traurigen Grund, dass es da gar nicht so viel zu erwähnen gibt. „Die Keime“ hat insgesamt gesehen keinen nennenswerten Plot – Avery ist auf der Flucht und fertig. Sie mag den einen oder anderen Charakter kennenlernen und es gab ab und an sogar Punkte, bei denen ich zumindest dachte, dass die Geschichte nun richtig startet, allerdings habe ich mich jedes Mal getäuscht. Sie ist auf der Flucht. Und das war’s wirklich.
Ich kann mit einem mangelhaften Plot leben, wenn andere Seiten des Buches überzeugen – es wäre nicht das erste Mal, dass es mich nicht stört, dass nichts passiert, beispielsweise weil die Charaktere mitreißen und wunderbar unterhalten. Diese Option entfällt für „Die Keime“ leider auch. Avery ist, um es kurz zusammenzufassen, anstrengend. Dass ihre Situation schwierig ist, kann nicht bezweifelt werden, sodass der eine oder andere Tiefpunkt vollkommen verständlich ist. Wenn dann aber die eigene Existenz nicht ausreicht, um vom ängstlichen Dauerphilosophieren hin zu sinnvollen Taten zu führen – und nein, bekanntermaßen dummer Drogenkonsum gehört nicht dazu –, dann hört mein Verständnis irgendwann auch auf.
Andere Charaktere werden eingeführt oder zumindest erwähnt, bei manchen blieb schleierhaft, warum es getan wurde. Da hätten wir Cash, dem ich während 90% seiner Auftritte einen Therapeuten gewünscht habe, der ihm hilft, um aus seinem Loch herauszukommen; ein wenig tatkräftiger ist da schon Cosima, die genauso wie Skar auch mal Dinge tut – letzterer wurde leider als vollkommener Idiot dargestellt, der er mir eigentlich gar nicht zu sein schien. Vielleicht liegen auch hier die Gründe für die leichte Abneigung, die ich mit der Zeit immer mehr Avery gegenüber hegte. Bei einem weiteren Charakter muss man sich vermutlich bis Band 2 gedulden, ehe da Näheres beleuchtet wird, und mit etwas Glück betrifft das auch die Regierungschefin. Das Einzige, was mir ihre Kapitel verrieten, war keineswegs, dass sie ihre Motive hat und nicht nur als die Böse angesehen werden kann, sondern dass sie eine unsympathische, egoistische Person ist, die die Heuchelei zur Kunst erhoben hat. Ihr Mann ist so ein böser Kerl und nimmt keinerlei Rücksicht auf ihre Gefühle, aber hey, schlachten wir mal eben massenweise Menschen ab, weil wir sonst nicht wiedergeboren werden können.
Was mich zum Konzept des Ganzen bringt und … nein. Vielleicht wird es im nächsten Band klarer, aber vorerst machte all das für mich keinen Sinn.
Fangen wir mal mit den groben Fakten an: Wir haben das Jahr 2074 und da es eine Dystopie ist, kann ich wohl davon ausgehen, dass die vorherigen Systeme die unseren waren. Seit circa 62 Jahren ist man sich also der Wiedergeburt bewusst und lebt mit ihr – man halte fest: Das ist nicht einmal eine ganze Generation.
Nun funktioniert das Ganze mit der Wiedergeburt aber nicht mehr, und man vermutet (!), dass es an den Keimen liegt. Logische Handlunsgkonsequenz? Jagen und töten wir sie, warum auch nicht? Mir stellt sich allerdings die Frage, wie das Ganze danach weitergehen soll; sollten die Keime verantwortlich sein – wie das sein kann? Gute Frage, im Buch wird’s bisher nicht geklärt –, könnte ihre Eliminierung sicherlich helfen. Allerdings wird es auch danach wieder Keime geben, und was passiert, wenn es wieder Probleme gibt? Geht die Hetzjagd wieder von vorne los? Ohnehin erscheint es mir ein wenig fragwürdig, dass die Leute nach gerade mal 62 Jahren der bewussten Wiedergeburt sich überhaupt nicht mehr vorstellen können, wie es ohne ist, sodass sie – zu einem gewissen Teil ruhigen Gewissens – andere Menschen töten. An der Stelle ging an mir auch ein wenig die Dramatik verloren – ich kann verstehen, dass es im ersten Moment schrecklich ist, jemanden endgültig zu verlieren. Es ist aber nichts, mit dem man nicht umgehen könnte.
Auch physikalisch hat mir das Buch Rätsel aufgegeben, und das, obwohl Physik nie eines meiner stärksten Fächer war. An einer Stelle ist im Buch aber von einer Expansion des Universums die Rede – dachte, das wär ohnehin unendlich? – und die Erde wird als ausgestoßener Planet beschrieben. Scheinbar muss sie dabei ein Stück näher zur Sonne gerückt sein, weshalb man sich Sorgen darüber macht, dass die Erde irgendwann verbrennt. Vielleicht überschätze ich hier auch die Kraft der Sonne, aber wenn wir auch nur ein kleines Stück näher rücken, wäre es das nicht ohnehin schon für uns gewesen? Aufgrund neuer Informationen muss diese Kritik zurückgenommen werden - wobei eine ausführlichere Ausarbeitung des Themas von Vorteil gewesen wäre.
Leider konnte es auch der Stil der Autorin nicht wirklich für mich retten. Julia Mayer kann durchaus mit Worten umgehen, nur war oftmals zu viel gewollt. Wenn man es kurz zusammenfassen wollte, könnte man sagen, dass „Die Keime“ ein recht langer, aus aneinandergereihten Metaphern bestehender Monolog ist. Erstens gibt es reichlich wenig Dialoge – die zudem aus allerlei Flüchen bestehen –, was der Protagonistin viel Platz für ihre Gedanken einräumt, die in diesem Fall nicht für ein besseres Verständnis, sondern für Ermüdung sorgen.
Zweitens wird mit Metaphern geradezu um sich geschmissen. Selbst bei den einfachsten Ereignissen muss eine besondere Formulierung her – da geht eben nicht ganz normal die Tür auf, stattdessen gibt das Holz nach. Es gibt schöne und interessante Stellen im Text, allerdings auch weniger gelungene und rein grundsätzlich wird mir auch von meinen Lieblingssüßigkeiten schlecht, wenn ich zu viele davon esse. Weniger ist manchmal mehr, und das gilt genauso für schöne Worte. Ab einem gewissen Punkt wuchs das Bedürfnis, den Text nur noch zu überfliegen, mit jeder Seite – schade drum! Insofern war die Bemerkung einer mitlesenden Freundin nicht ganz unpassend: „Die Dialoge spiegeln die Emotionen des Lesers wider.“
Ein weiterer Punkt muss noch angesprochen werden: die Rechtschreibung. Wer sein Buch eigenständig veröffentlicht, muss nun einmal auch die Kontrolle selbst übernehmen, was hier nicht immer geglückt ist. Ich will nicht behaupten, dass „Die Keime“ nur so vor Fehlern strotzt, aber sie tauchen doch oft genug auf, um negativ aufzufallen – die ärgerlichsten sind dabei vermutlich die Apostrophe zur Abtrennung des S‘ im Plural und Genitiv.
An mancher Stelle wird dadurch für eine unfreiwillige Komik gesorgt, die keineswegs im Sinne der Autorin gewesen sein kann. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob Häscher und Agenten den Auftrag haben, bestimmte Leute „festzunehmen“ oder „fest zu nehmen“ – letzteres steht im Text, passt inhaltlich aber besser in einen Porno.
Anderes ist dagegen nicht direkt falsch, aber sehr missverständlich. Ohne klärende Anführungszeichen hat der Satz: „Scheiße schwebt stumm auf Skars Lippen“, eine zweite Bedeutung, über die ich gar nicht so genau nachdenken möchte. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass das tatsächlich die größten Stilblüten des Buches sind, die aber für unbeabsichtigte Lachtränen gesorgt haben.
Was macht das am Ende? Eine interessante Grundidee, die nicht ganz nachvollziehbar umgesetzt wurde und auf keiner Ebene wirklich zu überzeugen vermag. „Die Keime“ hat durchaus seine guten Momente, allerdings gibt es diese viel zu selten und nicht alle davon waren tatsächlich so geplant.